Von der Macht einer bemalten Wand
Iren Tonoian im Interview
Bestens vernetzt: Iren Tonoian ist eine der wichtigen Akteur*innen in der Ehrenfelder Kunstszene. Sie steht dem Kunstverein artrmx vor, der unter anderem das Atelierzentrum Ehrenfeld betreibt, und leitet das international bedeutende Urban Art Festival CityLeaks. Und neben all dem hat sie noch Energie übrig, um sich für ein lebenswertes und buntes Ehrenfeld im neu gegründeten Verein „Wir sind die Stadt e.V.“ zu engagieren.
Euer Verein artrmx ist vor knapp 7 Jahren wegen schwieriger Bedingungen aus den Rheinlandhallen weggezogen; im März 2013 habt Ihr das Atelierzentrum an der Hospeltstraße eröffnet. Zum Glück seid Ihr Ehrenfeld als Kunst- und Kulturort erhalten geblieben …!
Ja, definitiv. Für uns war es ein mega Glücksfall in Ehrenfeld zu bleiben, da wir hier schon lange gearbeitet haben und vernetzt sind – seit 2006 gibt es den Verein. In der damaligen Stimmung, in der Kunst und Kreativität hier sehr präsent waren, haben wir Strukturen mitgeprägt und mitgenutzt. Für Ehrenfeld war es ebenfalls ein Glücksfall, weil viele attraktive Stätten für Kunst und Kultur wie die DQE-Halle und JACK IN THE BOX weichen mussten. Wir merken tatsächlich an den Nutzeranfragen bei uns, dass Raum zu einer der größten Mangelwaren geworden ist. Gentrifizierung ist ja nicht nur auf Ehrenfeld beschränkt. Aber wir als Kulturakteure spüren diesen unglaublichen Wandel, den der Stadtteil durchlebt. Wie viele andere Ehrenfelder können wir diesen Wandel nicht nur positiv sehen.

… weshalb Du Dich für mehr Teilhabe engagierst und gegen Gentrifizierung und ihre Folgen stark machst. 2017 legte CityLeaks mit dem Motto „Sharing Cities“ zum ersten Mal ausdrücklich den Fokus auf Nachhaltigkeit. Wie passt das zu einem Kunstfestival?
Wir als Kuratoren und Festivalmacher betrachten Kunst als Medium, um zu diskutieren und auf Dinge aufmerksam zu machen. Kunst ist nicht immer ausdrücklich politisch. Aber sich die Freiheit herauszunehmen, seine Meinung durch ein Kunstwerk kundzutun, kann man durchaus als politischen Akt deuten. „Sharing is caring“ ist einfach präsent, gerade in den Städten, wo man noch enger zusammenlebt. Die Knappheit der Ressourcen und das Übermaß an Konsum bringen Fragen auf: Kann ich mir das alleine leisten? Muss ich mir das alleine leisten? Wir wollten mit Sharing Cities auch verdeutlich, welche Bestimmungs- und Nutzungsansprüche an den öffentlichen Raum als Common Space gestellt werden können – und wie öffentliche Plätze von den Bürger*innen nach ihren unterschiedlichen Nutzungswünschen gestaltet werden können. Dass man diese Autorität nicht ausschließlich der Stadtverwaltung und den zahlreichen Verordnungen überlässt. Gleichzeitig haben wir selbst auch Commons geschaffen. So ist beispielsweise die Mobile Werkstatt zur Holzverarbeitung entstanden, die wir mit Hilfe der anstiftung initiiert haben. Die kann man nach wie vor bei artrmx unentgeltlich ausleihen und für den Hausgebrauch, aber auch für Workshops nutzen.
Die Wandbilder in Ehrenfeld sind identitätsstiftend
Das diesjährige CityLeaks findet im September komplett in Ehrenfeld statt. Ganz konkret: Was kann urbane Kunst in einem Stadtteil wie Ehrenfeld bewirken?
Das ist ein Genre, das draußen stattfindet, das nicht wartet, bis der Zuschauer kommt, sondern das einfach da ist und korrespondiert, kommentiert, kritisiert. Zuallererst heißt das, dass die Menschen anfangen sich mit der Wand oder Litfaßsäule zu beschäftigen, an der sie vorher tagtäglich vorbeigegangen sind. Egal, ob sie die Gestaltung positiv oder negativ bewerten. Was die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums angeht, ist Köln weit vorne. Jede halbwegs attraktive Wand an der Innere Kanalstraße: alles Werbung. Da wird man stumpf. Aber über die Beschäftigung mit der Umgebung und dem eigenen Stadtteil findet eine Art Identifikation statt. Die Menschen fangen an zu verstehen, dass der Stadtraum auch ihnen gehört, genauso wie er den Politikern oder den Unternehmen gehört, die hier arbeiten. Vielleicht auch deshalb, weil man den Entstehungsprozess beobachten kann. Eine Werbetafel wird meistens an einem Tag angebracht. Die Murals, also die Wandbilder, für die Ehrenfeld so bekannt ist, werden vielleicht an 3 bis 13 Tag gemalt. Gerade in Ehrenfeld habe ich das Gefühl, dass die Wandbilder identitätsstiftend sind.

Auf der anderen Seite ist die kulturelle Vielfalt hier sicherlich ein guter Nährboden für das Festival?
Ich glaube, dass das Festival von dem profitieren wird, was in Ehrenfeld so schön nebeneinander funktioniert, ohne dass es einen gemeinsamen Kodex dafür gibt. Und das ist auch unsere persönliche Vorstellung von lebenswerten Städten: dass sie durchmischt sind, dass sie Freiräume bieten, dass Menschen sich respektvoll begegnen. Ich glaube, kein Mensch wünscht sich eine cleane, einfarbige Stadt – und das meine ich durchaus im übertragenen Sinne.
Kein Mensch wünscht sich eine cleane, einfarBIGE STADT
Dazu passt Eure aktuelle Ausstellung MAKING HOME im Atelierzentrum. Sie zeigt Arbeiten von vier geflüchteten Menschen, die nach ihrer Ankunft in Deutschland einen neuen Lebensmittelpunkt suchen.
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit Art-Asyl und dem Verein JACK IN THE BOX. Im Vorfeld wurde ein mehrwöchiger Workshop für Menschen angeboten, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Die Teilnehmer*innen haben sich mit dem Thema Wohnen beschäftigt: Was für Wohnräume mussten sie verlassen, was für Wohnräume finden sie in Köln vor? Ihre selbstgebauten Modelle – eine direkte Gegenüberstellung der vorherigen und aktuellen Wohnsituation – zeigen vor allem, wie sehr sie sich auf der Suche nach einer neuen Heimat bei uns reduzieren und einschränken müssen. Sie sind vor Krieg geflohen, lebten vorher aber nicht in totaler Armut, sondern hatten teilweise wirklich tolle Wohnräume, die zerstört wurden. In der Ausstellung werden Wünsche, Erinnerungen und vor allem Hoffnungen und Ziele für die Zukunft sichtbar. Die Verordnungen einer Flüchtlingsunterkunft sind im Sinne der Verwaltung vermutlich nachvollziehbar – dass die Wände nicht geschmückt werden, dass man keine eigenen Möbel anschaffen kann. Aber mit Identifikation hat ein viereckiger Raum mit grauen Spinden und einem grauen Eisenbett wenig zu tun. Ein Zuhause bietet ja nicht nur Obhut und Schutz gegenüber Witterung, sondern auch Gemütlichkeit, Wohlfühlen und Identität.

Kunst kann verbinden und Grenzen überwinden. Deckt sich das mit Deiner eigenen Erfahrung als Kulturtreibende?
Das ist das Gute an einer neutralen Präsentationfläche wie dem Atelierzentrum. Wir arbeiten intensiv auf engem Raum nebeneinander. Ganz egal, wie gut Du einer bestimmten Sprache mächtig bist. Ganz egal, ob Du aus Damaskus kommst oder aus Moskau oder aus Dortmund. Ich mache zum Beispiel die Projektplanung für die nächste Ausstellung, während die Workshop-Teilnehmer noch an irgendwelchen Ausstellungswänden basteln. Ich produziere meine Geräuschkulisse, sie ihre. Wir sind aus einem bestimmten Grund hier zusammen: Damit am Ende die Ausstellung steht. Hier wurde zusammen gegessen, gekocht, gearbeitet. Dann nähert sich alles an, sodass auch neue Projektideen entstehen. Oder ich jetzt zum Beispiel weiß, wo ich superleckeren syrischen schwarzen Tee in Köln-Kalk kaufen kann (lacht). Das Besondere an kreativer Arbeit ist ja, dass der Kreative aus sich selbst schafft. Deshalb ist in Kunstwerken meist eine Handschrift zu erkennen, die genauso geprägt sein kann wie der Mensch, der letztendlich dahinter steht und denkt. Das ist das Vielfältige an der Kunst!
Wir danken Iren Tonoian für das Interview und wünschen uns, dass sie Ehrenfeld noch lange mit ihren Projektideen und unverwüstlichem Tatendrang bereichert.
in Kunstwerken ist meist eine Handschrift zu erkennen, die genauso geprägt sein kann wie der Mensch, der letztendlich dahinter steht und denkt
