Migration als kulturelle Ressource
Gelebte Integration statt Ghettoisierung in Italien.
Rund um eine ehemalige Villa in Bologna entsteht ein Wohn- und Arbeitsraum für Geflüchtete und Einheimische. Das Areal, das im Herbst 2019 eröffnet wird, fördert bereits in seiner Entstehung durch Co-Design den interkulturellen Dialog.

Die Zuwanderung Flüchtender in die Europäische Union stellt die Staatengemeinschaft seit 2016 vor eine ihrer größten politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Griechenland und Italien sind von dem Zustrom besonders betroffen, weil ihre geografische Lage die Menschen aus Afghanistan, Syrien, Somalia und weiteren unsicheren Herkunftsländern als erstes dort hin führt.
Wie die Financial Times am 12. Mai 2017 berichtet, erreichten im Jahr 2016 alleine Italien 181.000 Menschen per Mittelmeerüberquerung. Der Diskurs über den Umgang mit den Ankommenden, den Politik (von EU-Ebene bis zur Lokalpolitik), Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen sowie die Zivilgesellschaft damals führen, ist durchsetzt von Intoleranz, nationalem Gedankengut und gegenseitiger Schuldzuweisung. Gute Lösungsvorschläge, um Menschen zu helfen, die dringend Hilfe brauchen, sind selten. Aber es gibt sie: In der italienischen Universitätsstadt Bologna begreifen sie die Migration als Chance. „When a city welcomes, it grows in culture, richness and humanity“, sagt Bolognas Bürgermeister Virginio Merola.
„When a city welcomes, it grows in culture, richness and humanity.“
Salus W Space heißt das bedeutende Großprojekt zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Es bringtEinheimische und Geflüchtete unterschiedlicher Herkunft an einem Ort zusammen. Auf dem Gelände der ehemaligen Villa Salus, die lange Zeit als Pflegeheim für Senioren diente, danach mehrere Jahre lang leer stand und sich der Natur überließ, entsteht ein neuer Wohn- und Arbeitsraum. Aus statischen Gründen musste das Hauptgebäude der Villa abgerissen werden. Der Neubau wird voraussichtlich im Mai dieses Jahres fertiggestellt sein.
Koordiniert wird das auf drei Jahre angelegte Projekt von der Stadtverwaltung Bologna gemeinsam mit 16 sozial engagierten Partnerorganisationen. Die partizipative Planung für das Areal, das rund acht Kilometer von Bolognas Innenstadt entfernt liegt, beginnt im Januar 2017. Die lokale Gemeinschaft und Geflüchtete, die bisher in Provisorien innerhalb der Stadt untergebracht sind, dürfen sich jederzeit aktiv in die Planung einbringen. Befragt nach ihren Vorstellungen für einen gemeinsamen Lebens- und Arbeitsraum, fließen die Ergebnisse in die Umsetzung ein. Und so soll Salus W Space ein Ort werden, an dem Solidarität herrscht und Respekt vor der Herkunft jedes Einzelnen. Zudem soll das künftige Areal die lokale Wirtschaft antreiben sowie sozial benachteiligten Gruppen eine Beschäftigung in der Verwaltung oder im Betrieb des Areals geben.
Genau darin liegt nach Auskunft der Projektkoordinatoren die größte Herausforderung für Salus W Space: in der Kombination von Wohnlösungen für Migranten und Anwohner, der Möglichkeit zur Gründung von Ausbildungsbetrieben und Start-ups, Theatern und Co-Working-Spaces, die jedem Bürger und Besucher von Bologna offenstehen.
Aber auch hier gibt es konkrete Lösungen, die in diesem Jahr noch realisiert werden. Es wird ein Bed & Breakfast eingerichtet nach dem Wiener Vorbild Magdas Hotel, das von Geflüchteten betrieben wird und zugleich als Ausbildungs-stätte fungiert. Außerdem werden die Grün- und Gartenanlagen auf dem revitalisierten Gelände zum Experimentierfeld für Bio-Anbau und städtische Ökologie. Bewohner und Anwohner des Areals bewirtschaften die Gärten gemeinsam und probieren sich in einem Übungsgarten aus, in dem Anbautechniken aus den Herkunftsländern der Geflüchteten kultiviert werden sollen. Zusätzlich fördert der Verkauf der Ernte den Autonomieprozess der Gemeinschaft. Das Gleiche versprechen sich die Beteiligten von der multiethnischen Gastro- nomie, die auf dem Gelände eingerichtet wird.
Die Projektverantwortlichen sprechen bei Salus W Space stets von einem Ort für soziale Innovation. Über die gesamte Projektlaufzeit fördern sie den Dialog zwischen allen Interessengruppen rund um Salus W Space. Diese kommunikative Leistung ist einer der Schlüssel für die bisher gute Entwicklung. Regelmäßig fanden und finden künstlerische Veranstaltungen auf dem Gelände statt: Lesungen, Installationen und Theateraktionen zeigen, was die Geflüchteten erlebt haben und welche Hoffnungen sie mit dem Projekt verbinden – auch dies fördert den interkulturellen Austausch und schafft Verständnis füreinander. Ab September 2019 stellt die Salus W Space- Gemeinschaft das gesamte Areal dann der Öffent- lichkeit zur Verfügung.