Ein Paradies, das soll es sein
Eine Bahnbogenfantasie im Jahr 2029
„Also, mir gefällt’s hier“ sagt Sam und trommelt mit den Fingern auf dem zerkratzten Bistrotisch, an dem er sitzt. Als der Umbau am Ebertplatz losging, musste er das African Drum schließen, das dort jahrelang ein Zentrum der afrikanischen Community in Köln war. Aber der Umzug in die Bahnbögen in Ehrenfeld hat sich gelohnt. „Meine Kunden fühlen sich wohl, der Raum ist groß und schön, und wir machen eine monatliche Afro-Party im Club nebenan. Was will ich mehr?“.
Henriette und Josef hören ihm zu und lächeln still.

Henriette war aus Sülz mit ihrem Hollandrad die neue, mit Pollern geschützte Radspur auf dem Gürtel entlang zu den Bahnbögen gerollt. Was sich alles entwickelt hatte, seit die neue Betreiber-Genossenschaft die Bahnbögen übernommen hatte!
Jahrelang waren die leeren Bahnbögen ein Schandfleck im Viertel gewesen. Dreckig, leer und zugig. Von oben lief das Wasser rein. Zwar hatten sich mit dem Club Bahnhof Ehrenfeld und dem benachbarten Yuca zwei Clubs auf dem Gelände etabliert – aber drum herum blieb es leer und trostlos.
Doch das war vorbei.
Zuerst war die Radstation eingezogen. Dort hatten nicht nur die Fahrräder der Pendler und Anwohner einen Unterschlupf, sondern unter der Anleitung von EVA und JACK IN THE BOX auch Menschen eine Arbeit gefunden, die auf dem Arbeitsmarkt sonst nicht untergekommen wären. Heute kümmert sich Dirk um die Kunden – verteilt Parkmärkchen, nimmt Räder für die Reparatur an und hilft, wenn jemand die Luftpumpe der Radstation benutzen will.
Dahinter kommt erst das Cafe Blaumeise, ein beliebter Treffpunkt für den Kaffee am Nachmittag, dann ein argentinischer Kulturverein, im dem Tango- und Folklore-Abende stattfinden, daneben betreibt Maria ihre international anerkannte Galerie für Aktions- und Performancekunst. Auch der Unverpacktladen des Viertels war in die Bahnbögen gezogen und hatte endlich genug Platz. In der inklusiven Kindertagesstätte spielen und lernen Kinder mit ganz unterschiedlichen Begabungen zusammen für das Leben.
Nebenan im Coworking-Space werden eifrig Konzepte für neue öko-soziale Projekte geschrieben. Jasmin nippt an ihrem Espresso – mit ihrer Gründung im Coworking-Space an den Bahnbögen zu beginnen, war die richtige Entscheidung gewesen. Auch ihre Leidenschaft für guten Kaffee hatte sie hier entdeckt.
Der Kampf hat sich gelohnt
Die Helios-Schule liegt zwar ein paar Schritte entfernt, aber ist in alle Aktivitäten eingebunden. Im Club Bahnhof Ehrenfeld geben Studenten Nach-hilfe – für Gästelistenplätze. Das Café Blaumeise ist jetzt auch Montagnachmittag geöffnet, betrieben von einer Schülerfirma, die sich um Marketing, Personal und Service kümmert. In der Radstation finden Projekttage statt, an denen die Schüler-innen und Schüler ihre Fahrräder reparieren.
Sam schaute hoch in die Bäume und blinzelt. Die Mangos müssten bald reif sein, er mochte den süßlichen Geruch. Mildred hatte sie alle überzeugt, auf der Brache Lebensmittel anzubauen – und dank des Klimawandels gedeihen jetzt auch Mango und Papaya. Die essbaren Bahn-bögen funktionieren – den Mojito im Club gibt es jetzt mit lokaler Minze. Und im argentinischen Kulturverein wurde lokal gekelterter Malbec ausgeschenkt. Kai, der Pfälzer Winzer im Kölschen Exil, war erst skeptisch gewesen, doch mittlerweile wuchsen die Trauben auf dem vertikalen Weinberg ganz ordentlich.
Auch Josef war mit dem Fahrrad gekommen – aus dem Vorort über den frisch eingeweihten Radexpressweg. Der Radverkehr war zwar nicht wirklich seine Leidenschaft gewesen. Aber als wohlmeinender Bezirksbürgermeister auf Lebenszeit hatte er sich dem Murren im Stadtteil gebeugt und die Autos schrittweise verbannt.
„Mensch Jupp, ist das schön hier“, seufzt Henriette.
„Ja, Henriette“, sagt Josef.
Der Kampf hat sich gelohnt.