Regional

Gesamtkunstwerk Grandhotel Cosmopolis

Ein Dach für Geflüchtete, Reisende, Gäste, Künstler und Nachbarn

Du bist müde von Deiner Reise, lange bist Du unterwegs gewesen. Füße, Rücken und Nacken schmerzen, und endlich erreichst Du Augsburg. Vielleicht machst Du hier Urlaub, vielleicht arbeitest Du hier, vielleicht bist Du aus Deiner Heimat geflohen. Egal, was der Grund Deiner Reise ist: Das Grandhotel Cosmopolis heißt dich willkommen, und bietet einen Platz zum Schlafen.

Dabei wäre ein Grandhotel vielleicht nicht Deine erste Wahl, denn mit dem Begriff verbindest Du Luxus, besondere Größe, Pagen mit roten Mützen und vergoldete Aufzüge. Im Grandhotel Cosmopolis suchst Du die goldenen Aufzüge vergeblich. Die „besondere Größe“ hingegen ist schwer zu übersehen - es ist kein gewöhnliches Hotel, sondern ein „soziales Gesamtkunstwerk“ auf den sechs Stockwerken eines ehemaligen Altenheims, einer Fläche von ca. 2.600 qm. Unter einem Dach vereinen sich hier eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, ein Hotel, Ateliers, offene Werkräume und ein gastronomischer Betrieb mit Café-Bar und Bürgergaststätte.

Was heißt das konkret? Im Hotel können sich Reisende und Touristen in einem von zwölf Hotelzimmern einmieten oder in einem von vier Hostelzimmern mit Stockbetten. Dabei gleicht kein Zimmer dem anderen – jedes wurde von Künstlern individuell gestaltet. Da ist das „4NULL5“ des Architekten und Mitinitiators des Grandhotels Michael Adamczyk, das von Kontrasten geprägt wird. Oder der „Zauberwald“, eine grüne Oase der freischaffenden Künstlerin Petra Bossek, oder das „Persische Zimmer“ im Hostelbereich von Sayed Adi Bahram.

In Peter Weismanns Installation „Innen/Außen“ verlässt die Skulptur eines Menschen das Zimmer durch die Wand: Er „verlässt einen scheinbar eindeutig definierten Bereich, wagt sich ins Unbekannte.“ Wie viel der müde Reisende für ein Zimmer bezahlt, entscheidet er selbst, vorgegeben ist lediglich ein Minimum: Wer mehr hat, ist eingeladen, mehr zu geben und damit das Grandhotel zu unterstützen.

Weiter geht es in den Stockwerken eins bis drei: Hier wohnen etwa 60 asylsuchende Bewohner in eigenen Gebäudeteilen. Die Schlafzimmer sind mit maximal zwei Personen belegt, man trifft sich in Gemeinschaftsküchen und Aufenthaltsräumen. Die Familien, Frauen und Männer werden wie in allen Asylunterkünften von der zuständigen Behörde, in diesem Falle der Regierung von Schwaben, zugeteilt. „Ihre Unterbringung orientiert sich an den »Leitlinien zu Art, Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber« des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.“

Zahle soviel dir möglich ist.

Wie findet nun die Begegnung statt? In einem „normalen“ Hotel verschwindet der müde Reisende nach dem Check-In in seinem Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Wo treffen sich Hotelgäste und Asylsuchende, Personal, Besucher, Augsburger Nachbarn und Freunde? Da ist die Lobby, die Gemeinschaftsküchen, die sich im ganzen Haus befinden. Auf den beiden Außenflächen, dem Teegarten und dem Rosengarten, und im Café treffen sich Bewohner und Besucher, Kaffeeliebhaber und Künstler, Menschen mit verschiedensten Geschichten. Das Preiskonzept der Hotelzimmer greift auch hier: Zahle soviel Dir möglich ist. Im Aufbau befindet sich zudem die Bürgergaststätte: Ein Restaurant mit internationaler Küche. Jeden Tag kommen hier Helfer und Bewohner zu einem gemeinsamen Mittagessen zusammen. Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Theater – regelmäßig finden Veranstaltungen statt, die Menschen ins Grandhotel ziehen. Die Ateliers im Gebäude werden von Künstlern angemietet, als Gegenleistung arbeiten sie im Grandhotel mit. Mit eigenen Projekten ist das Grandhotel auch bei städtischen Festivals vertreten, z.B. beim Augsburger Hohen Friedensfest und dem Brechtfest. Zuletzt lud man zur Grandhotel Cosmopolis Peace Conference: Vom 26. Juli bis zum 8. August dieses Jahres kamen über fünfzig Experten aus der ganzen Welt zusammen, um zu diskutieren, zu gestalten und Ideen zu entwickeln.

Wie kann so ein komplexes Projekt funktionieren? Wie viele Menschen und Gruppen arbeiten hier zusammen? Die Stadt. Hoteliers. Die Augsburger Bevölkerung. Die Besitzerin des Gebäudes ist die Diakonie, diese vermietet es an zwei Parteien. Zum Einen an die Regierung von Schwaben; sie führt die von ihr angemieteten Bereiche als Asylunterkunft. Zum Anderen an den im Juni 2013 gegründeten Grandhotel Cosmopolis e.V.: Er ist Mieter des übrigen Gebäudes, inklusive Hotel, Bürgergaststätte, Ateliers und Café.
Bereits im September 2011 entstand das Konzept, kaum später begann der Umbau des leerstehenden Gebäudes. Von Anfang an wurden Nachbarn und Öffentlichkeit über die Pläne informiert. So gesellten sich auch Anwohner zu den knapp 500 Helfern aus der ganzen Welt, die in über 100.000 unbezahlten Arbeitsstunden das Gebäude renovierten und neu gestalteten. Die verwendeten Materialien und Möbel wurden gespendet oder stammen aus Häuserräumungen. Im Juli 2013 konnten die ersten asylsuchenden Bewohner in den 3. Stock einziehen, im Oktober folgten die Gäste: Das Hotel wurde eröffnet.

Der tägliche Hotel- und Gastronomiebetrieb, die Organisation von Veranstaltungen und Projekten – ermöglicht wird all dies durch die „Hoteliers“: Die Menschen, die im Grandhotel leben und arbeiten. Etwa 20 Menschen sind ständig aktiv, weitere 200 unterstützen das Projekt zeitweilig. Darunter auch die Bewohner des Hauses: Sie sind eingeladen, sich in das Grandhotel Cosmopolis einzubringen - den Grad, in dem sie dies tun, entscheiden sie selbst. Nach Deiner Nacht im Grandhotel bist Du ausgeschlafen, Deine Füße haben sich erholt, Dein Nacken sich entspannt. Vielleicht ziehst Du weiter, vielleicht trinkst Du vorher einen Tee im Café: Dein Tischnachbar mag ein Augsburger sein oder ein Reisender. Vielleicht mit, vielleicht ohne Asyl. Und Dein Kellner? Wer weiß.

„Integrierte Flüchtlingsunterkunft“ wird dem Grandhotel Cosmopolis nicht gerecht: Unter einem Dach
vereint es Hotel, Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, Café, Ateliers und Raum für Veranstaltungen.
grandhotel-cosmopolis.org

  • Text: Mareike Limanski
  • Fotos: A. Kohler, W. Reiserer