Die Goldammer singt wieder
Mit Laden und Café für das gemeinsame Leben in der Vorstadt
Als der Schlecker zugemacht hat, standen den Leuten die Tränen in den Augen“, erinnert sich Petra Gräff. Sie steht in den weißen, nüchternen Räumen, in denen der Drogeriediscounter bis 2011 die Anwohner versorgte. Das Ende kam unerwartet und bedeutete auch für den beliebten Wochenmarkt das Aus, weil seitdem die kritische Masse fehlt. Nur der Bäcker, ein Frisör, ein Kiosk und zwei Marktstände harren noch aus. An der Kneipe nebenan hängt ein trotziges „Wir haben wieder geöffnet“-Schild.

Es ist zwei Jahre alt. Die Pächter haben nicht lange durchgehalten.
Hier
in Vogelsang soll demnächst die „Goldammer“ öffnen, ein Laden mit Café,
benannt nach dem Vogel, der sich durch ein ausgeprägtes Sozialverhalten
auszeichnet. Noch hängen aus der Decke Kabel, auf dem Boden liegen
Metallregale, die auf den Aufbau warten. Im Schaufenster liegt ein
Schild mit der Aufschrift „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“.
Doch
Petra Gräff hat sich viel vorgenommen. Der Genossenschaft, der sie
vorsteht, geht es nicht nur um einen Laden – es geht darum, das Viertel
am Rande der Stadt lebendig und lebenswert zu halten. „Die Goldammer ist
ein sozialer Vogel“, betont ihr Vorstandskollege Rainer Lott. „Die
kleinen, gelben Vögel gehen gerne gemeinsam auf Nahrungssuche.“ Und auch
die Menschen hier wollen vor Ort einkaufen. Manche müssen es sogar –
dies liegt auch an der Altersstruktur: Mehr als achthundert über
Achtzigjährige wohnen in Vogelsang.
Doch für die großen
Einzelhändler und Discounter lohnt sich der Standort nicht: Zu klein
sind die Immobilien, es gibt zu wenig Parkplätze. Deshalb fahren viele
mühselig mit dem Bus zum nächsten Supermarkt. Dies kostet Zeit und
Nerven und ist anonym. Der Schlecker und die bunten Marktstände vor der
Tür dagegen waren auch ein sozialer Anlaufpunkt. Mancher kam, weil er
hier jemanden zum Reden hatte – „die Verkäuferinnen kannten ihre
Pappenheimer“, berichtet Petra Gräff.
Bei einer Stadtteilkonferenz
wurde entschieden, das Problem anzugehen. Ein Laden für die
Nachbarschaft sollte entstehen, mit verschiedenen Dienstleistungen. Um
herauszufinden, was die Nachbarn wollen, wurden Sortiments- und
Lenkungsgruppen gebildet – bis zu 35 Personen brüteten darüber.
Nicht nur ein Laden, sondern ein Ort der Begegnung.
Freiwillige
zogen von Haustür zu Haustür und befragten ihre Nachbarn. Oft haben sie
das umfangreiche Formular direkt gemeinsam ausgefüllt.
Ein
wichtiges Ergebnis dieser Befragungen: Die Nachbarn wollen nicht nur
einen Laden, sondern einen Ort der Begegnung. So wird es nun auch ein
Café geben – wer beim Einkaufen ein Schwätzchen beginnt, kann es hier
direkt bei Kaffee und Kuchen weiterführen. Auch wird es weder
„Quengelware“ geben – die Süßigkeiten auf Kinderaugenhöhe –, noch
„Bückware“ – die günstigen Produkte, die auf dem untersten Brett
versteckt werden. Stattdessen ist eine breite Palette von frischen und
günstigen Produkten geplant, die sich auch die Anwohner mit geringerem
Einkommen leisten können.
Die Goldammer ist nicht nur ein Laden für
die Menschen in Vogelsang und Umgebung – sie gehört ihnen auch. Man
entschied sich für eine Genossenschaft als Träger. Jeder kann und soll
für 100 Euro Mitglied werden und den Laden damit möglich machen.
Wichtige Impulse gab Ramon Kempt, der grade mit der ‚Energiegewinner eG’
selber eine Genossenschaft gegründet hat. „Herr Kempt hat mich am
Telefon durch die Formulare geführt, eine wichtige Hilfe“, berichtet
Petra Gräff. Dank der offenen Struktur gibt es auch sonst viel Zuspruch
und Hilfe aus der Nachbarschaft. Ein Steuerberatungsbüro arbeitet im
ersten Jahr gratis, das lokale Familienzentrum will die Lebensmittel für
das Mittagessen in der Goldammer einkaufen, auch Kindergärten sind
interessiert.
Doch nicht nur Kunden und Eigentümer, auch die
Lieferanten sollen nach Möglichkeit lokal und regional sein. Zwei von
drei Nachbarn haben das in der Umfrage gefordert – regional ist den
Anwohnern noch wichtiger als Bio. Deswegen hat die Genossenschaft
bereits Kontakte zu Bauernhöfen und kleinen Produzenten aufgenommen. Es
gibt viel positiven Zuspruch, aber dieser Prozess ist sehr aufwendig,
vor allem wegen des Vertriebsaufwandes. Doch es gibt auch erste Erfolge –
so soll es „Ehrenfelder Honig“ geben, eine Weinhandlung in Bickendorf
wird den Laden beliefern und ein Geflügelhof aus der Region hat
Interesse bekundet.
2014 wird es endlich losgehen. Bis dahin wird
die GAG, Eigentümerin der Immobilie, noch barrierefreie Toiletten
einbauen, es müssen Möbel angeschafft und Café und Laden eingerichtet
werden.
Bis dahin schauen die Nachbarn durch die großen Schaufenster
und fragen ungeduldig, wann sie endlich wieder lokal einkaufen können.
Mit Kaffee, Kuchen und Schwätzchen.