Recht auf Sattsein!
Hunger ist das größte (lösbare) Problem weltweit.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen startete mit ambitionierten Vorsätzen ins neue Jahrtausend. Damals hieß es in einem der acht sogenannten Millenniumsziele: Bis 2015 soll der Anteil der Hungernden auf der Welt gegenüber dem Stand von 1990 halbiert werden. Weit gefehlt, wie ein Blick in die Statistiken verrät.

Fast jeder achte Mensch auf der Welt hungert. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO haben 842 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Und das, obwohl die Landwirte 2013 die größte Ernte aller Zeiten eingefahren haben. Vollständig und so effektiv wie möglich eingesetzt, hätte diese Ernte fast 14 Milliarden Menschen ernähren können. Fazit: Der Welthunger entsteht nicht durch einen Mangel an Ressourcen, sondern durch die Ungerechtigkeit ihrer Verteilung.
Leidtragende sind wie so häufig die Ärmsten der Armen. 65% der Hungernden leben in Asien und der Pazifikregion, gefolgt von Schwarz-Afrika, wo 26% der unterernährten Weltbevölkerung wohnen sowie in Lateinamerika und der Karibik mit 6%. Die meisten von ihnen sind in ländlichen Gebieten zu Hause und besitzen nicht genug Anbaufläche, um sich und ihre Familien zu versorgen. Wer dennoch etwas von seiner Ernte verkaufen kann, der bezieht buchstäblich einen Hungerlohn. In der stark globalisierten Agrarindustrie findet die Ausbeutung der Landarbeiter auch durch die Preisdrückerei in den Lieferketten deutscher Supermärkte statt. Die Oxfam-Studie „Bittere Bananen“ legt die untragbaren Arbeitsbedingungen von Plantagen-arbeitern in Ecuador offen, die einer enormen Pestizidbelastung ausgesetzt sind.
Es gibt etwa 450 Millionen Kleinbauern weltweit – vor allem in den Entwicklungsländern. Dennoch bestimmen nur wenige Akteure das Geschehen im globalen Wettbewerb. Die vier größten Getreide- und Sojahändler kontrollieren rund 75% des Weltmarktes. Dabei stehen die Kleinen immer in Abhängigkeit zu den Großen. Das ist alles andere als gerecht. Einige Kleinbauern liefern ihre Produkte an Großkonzerne. Häufig konkurrieren sie auch (noch) um zunehmend knappe Ressourcen wie Wasser oder fruchtbare Böden.
die Natur passt sich an
Das Welthandelsystem schwächt die Bauern und schadet der Umwelt.
Die Regeln für dieses System werden von den Märkten und von internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO) bestimmt. Dieses System aber steckt voller struktureller Probleme. Lange nahm man an, eine Abkehr vom kleinbäuerlichen Wirtschaften hin zu großflächigen Anbaumethoden und eine Öffnung für den Weltmarkt könnte die Ernährungslage effizienter sichern. Doch langfristig senken ebendiese großflächigen, chemieintensiven Monokulturen die Bodenqualität. Viele Kleinbauern mussten ihre Ackerflächen aufgeben. Das hat mehrere Folgen: Zum einen verschwindet das Wissen um traditionelle Anbaumethoden und Pflanzensorten. Zum anderen werden die Großplantagen unter Einsatz hoher Mengen gesundheitsschädlicher Herbizide von internationalen Investoren betrieben. Sie kaufen und pachten riesige Flächen – jedes Jahr betrifft das sogenannte „Landgrabbing“ eine Fläche von der Größe Frankreichs. Zur Gewinnmaximierung setzen sie auf chemische Substanzen. Zu einem ziemlich hohen Preis, denn die Natur passt sich an. Immer mehr Unkräuter trotzen den Herbiziden. Deshalb wird auf den Großflächen mittlerweile ein ganzer Cocktail an Giften verteilt.
Fest steht: Dieses Welthandelssystem schadet der Natur und benachteiligt die Bauern. Flächen, zum Beispiel in Lateinamerika, auf denen früher Nahrungsmittel für die Menschen vor Ort angebaut wurden, werden nun im großen Stile mit lukrativen Exportgütern wie Kaffee oder Baumwolle bestellt. Oder es werden Energiepflanzen angebaut für Bio-Sprit. Für volle Tanks, statt volle Mägen. Hinzu kommen Spekulationen mit Nahrungsmitteln an den Börsen, die die Preise künstlich in die Höhe treiben. Das Nachsehen haben die Kleinbauern. Ihnen fehlt jede Möglichkeit, sich zu wehren. Und wie sieht es bei uns aus? Die Europäische Union versperrt den Kleinbauern aus den Entwicklungsländern den Weg zum europäischen Markt – durch Zölle, Produktstandards und weitere Handelshemmnisse. Gleichzeitig subventioniert sie die heimische Agrarwirtschaft, damit die europäischen Unternehmen ihre Produkte auf dem Weltmarkt anbieten können.
Zeit zu handeln.
Die UN bezeichnet den Hunger als eines der größten lösbaren Probleme weltweit. Es gibt verschiedene Ansätze, dass Welternährungssystem zu stabilisieren. Experten sind sich einig, dass es der falsche Weg wäre, die Hungernden vom Ausland aus zu versorgen. Besser wäre es, durch Landreform und Grundbuch den Kleinbauern Wirtschaftsflächen zu übereignen, von denen sie leben können.
Ein Großprojekt im Westen Indiens weist einen möglichen Weg, wie durch Vielfalt auf dem eigenen Acker und Sortenzucht der Hunger eingedämmt werden kann – ganz ohne Herbizide. Gemeinsam mit der Ernährungshilfeorganisation Harvest Plus pflanzen rund 30.000 Kleinbauern die ertragreiche Dhanshakti-Perlhirse an. Das Getreide hat es in sich: In den Körnern steckt jede Menge Eisen und Zink. Indische Wissenschaftler haben der Pflanze diesen hohen Gehalt an Spurenelementen angezüchtet. Die bioverstärkte Hirse ist Teil einer neuen Grünen Revolution, an deren Spitze der indische Agrarwissenschaftler Monkombu Swaminathan steht. Seit über 60 Jahren kämpft er für das „fundamentale Menschenrecht“ auf Sattsein. Swaminathan fordert eine neue Agrarwende, die auf naturnahen Landbau, intelligente Pflanzenzucht, die Rückbesinnung auf alte Sorten und Ernährungssouveränität setzt. Nicht auf industrielle Hightechlandwirtschaft! Damit sich das auch in anderen Teilen der Welt realisieren lässt, braucht es zuvorderst Autonomie für die Kleinbauern. Ressourcen sind schließlich vorhanden, sie werden bisher nur ungerecht verteilt.