Auf dem Weg zum Radler-Paradies
Kreative machen Mönchengladbach für Radfahrer attraktiver – mit Witz und guten Ideen
Norbert Krause ist ein typischer Genussradler mit durchschnittlicher Kondition. Fortbewegung ist für den 35-Jährigen aber undogmatisch. Er wählt das Verkehrsmittel, das am effizientesten ist. Häufig ist das die Bahn, selten der Bus, gerne geht er zu Fuß, gelegentlich fährt er Auto – und am liebsten tritt er in die Pedalen seines Fahrrads. Nicht nur weil es das gesündeste und umweltfreundlichste ist, sondern weil es oft am schnellsten geht.

Topographisch ist seine Heimatstadt Mönchengladbach ein echtes Radler-Paradies. Die Stadt liegt größtenteils im Flachland, umgeben von Wäldern und Parks; die Hügelketten im Süden und im Zentrum sind gut zu überwinden. Allerdings sind die Radwege der Stadt in einem katastrophalen Zustand. Für einen Radverkehrsplan gab es lange Zeit keine Lobby. Die Folge: Beim Fahrradklimatest des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e.V.) belegt Mönchengladbach stets einen der letzten Ränge.
Das muss nicht sein, befand der Aktionskünstler und Projektdesigner Krause vor vier Jahren. Gemeinsam mit seinen Kreativkollegen Hannah von Dahlen und Johannes Jansen rief er das Projekt „200 Tage Fahrradstadt“ ins Leben. 2013 fiel der Startschuss – 200 Tage lang stand der Drahtesel im Fokus. Das Ziel: Mönchengladbach sollte fahrradfreundlicher werden.
Anstatt über die schlechte Situation von Radlern in der Stadt zu lamentieren und seitenweise Forderungen mit Investitionen in Millionenhöhe für Radwege zu fordern, zeigten die Kreativen die Potenziale auf und vertauschten dafür Ursache und Wirkung. Nicht der Politiker, der über einen Radweg oder ein Radwegenetz beschließt, war ihnen wichtig, sondern die Bürger. Sie sollten sich als Radfahrer solidarisieren.
Zu den ersten öffentlichkeitswirksamen Aktionen zählte das Format „Rundradeln“. Laut Straßenverkehrsordnung dürfen die Radler ab einem Verbund von 16 Fahrern immer zu zweit nebeneinander fahren und sind nicht mehr an die Nutzungspflicht eines möglichen Radweges gebunden. Aufgrund ihrer nummerischen Stärke hatten die Beteiligten (in der Regel kamen rund 50 Biker) das Recht, den Straßenraum anders zu nutzen. Damit wollte Krause demonstrieren, dass der Raum allen gehört – nicht nur den Autofahrern. Da der Verbund auch nicht getrennt werden kann, wenn während der Durchfahrt die Ampel von Grün auf Rot springt, fiel der Zug der Radler natürlich auf. Das „Rundradeln“ wurde über 2013 hinaus zum monatlichen Ritual.
RIDE BICYCLES ANYWHERE YOU CAN
Betont ironisch war die Aktion „Tandem Speed-Dating“. Statt an einem Tisch sitzend, wie beim herkömmlichen Speed-Dating, lernten sich die Singles bei der kurzen Tandem-Fahrt um die Häuserblocks kennen.
Besonders spektakulär war die Kooperation mit den Niederrheinischen Sinfonikern. „Ride bicycles anywhere you can in the concert hall. Do not make any noise”, ist eine Anweisung aus dem Buch „Grapefruit“ von Yoko Ono. Krause nahm dies ernst und ließ die Niederrheinischen Sinfoniker per Rad das Mönchengladbacher Stadttheater erfahren.

Nach den Erfolgen im Aktionsjahr 2013 wurde das Projekt „200 Tage Fahrradstadt“ 2014 und 2015 als offizielle Beauftragung der Stadt Mönchengladbach fortgeführt. Seither ließen sich immer wieder verschiedene Akteure und Institutionen mit dem Thema Fahrrad verknüpfen. So gab es einen Poetry Slam auf dem Klapprad oder Fahrrad-Yoga.
Für seine Arbeit erhielt Krause viel Rückenwind. Zuletzt wurde er mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet. Die Jury lobte den Künstler für sein „außergewöhnliches Engagement“ und hob hervor, dass er es mit „viel Humor und Geschick“ verstanden habe, auch die Stadt und die Politiker zu begeistern.
Und wie fällt sein Fazit aus? „Es hat sich einiges in Mönchengladbach verändert“, so Krause. „Die Stadt wird immer fahrradfreundlicher.“ Aktuell wird ein Masterplan Nahmobilität erstellt; das Radwegenetz soll auf Kurzstrecken und Hauptrouten verbessert werden und in der Innenstadt werden 40 Einbahnstraßenabschnitte für Radfahrer geöffnet. Beteiligt an dem Plan ist auch Krause. Damit ist er seinem Ziel ein großes Stück näher gekommen.