Im Interview

Und was glaubst Du so?

Dana Khamis im Interview

Im Bürgerzentrum Ehrenfeld findet seit geraumer Zeit das Approach Projekt statt, das eine Annäherung zwischen Menschen, die neu in Deutschland sind, sowie alteingesessenen Ehrenfelder*innen herstellen möchte. Ein Teil davon ist die Ausbildung zum Veedelsguide, welche sich mit der Spurensuche nach Religion, Religionsfreiheit und gelebtem Glauben in Ehrenfeld befasst. In interaktiven Stadtteilführungen sollen lebendige Geschichten erzählt und erwandert werden. Wir haben die Gelegenheit genutzt, die Projektleiterin Dana Khamis nach ihrer Arbeit und ihren bisher gesammelten Eindrücken zu befragen.

Liebe Dana, Du bist Initiatorin des Projekts, erzähle uns gerne davon.

Approach hat vier Säulen: Ein super wichtiger Bestandteil ist die Agenda Ehrenfeld. In dieser Steuerungsgruppe, die von mir geleitet wird, werden alle Dinge mit den Ehrenamtlichen gemeinsam entschieden. Dann sind da die Veedels- führungen, für die wir gemeinsam Themen auswählen. Als Drittes können migrantische Gruppen, die sich selbst organisieren wollen, Räumlichkeiten brauchen, sich professionalisieren oder sich für ihre Community einsetzen wollen, bei uns Beratung bekommen und sie werden auch zu Vernetzungstreffen eingeladen. Last but not least sind die Konzerte mit Bands aus aller Welt. Wir versuchen immer, etablierte Bands sowie auch welche, die einen anderen, zum Beispiel migrantischen Hintergrund haben, einzuladen. Dadurch, dass das Publikum sich mischt, wollen wir auch einen Ort der Begegnung anbieten.

Wie kam es dazu, Religion als Thema für die Veedelsführungen auszuwählen?

Sowohl die Migrationsgeschichte Ehrenfelds, als auch die individuellen Geschichten, bildeten die erste Reihe unseres Projekts. Danach haben wir uns gefragt, welches Thema nehmen wir jetzt? Welche Werte sind uns wichtig? Wir haben zwischen Religionsfreiheit und Genderformen bzw. Familienformen entschieden. Die meisten haben dafür gestimmt, dass sie unbedingt Religion als Thema haben und die Suche nach dem Glauben in Ehrenfeld verfolgen wollen. Ich glaube, sie sind neugierig und nutzen die Chance, sich zu fragen, wo bin ich eigentlich und was glaube ich eigentlich?

Ehrenfeld ist eine Verschmelzung von Religionen!

Welche Fragen hast Du mitbekommen, die sich die Teilnehmenden gestellt haben?

Da sind krasse Unterschiede zwischen den Religionen und den Kulturen. Also auch, wenn ich zum Beispiel Christin bin, bin ich eine andere Christin als eine, die in Deutschland aufgewachsen ist. Es ist spannend, zu merken, dass in Jordanien Weihnachten anders gefeiert wird als in Deutschland oder in Syrien. Solche Punkte bildeten auf jeden Fall die meisten Fragezeichen zwischen uns. Es war sehr viel Neugierde auf beiden Seiten, bei den Alteingesessenen und bei den neu Zugewanderten, deshalb wollten wir gemeinsam auf die Suche gehen.

Was habt Ihr dann entdeckt, hier in Ehrenfeld?

Ehrenfeld ist eine Verschmelzung von Religionen! Es ist wirklich wie ein Topf, in dem man alles mischen kann. Unserer Recherche nach gibt es hier vier muslimische Gemeinden, 13 Kirchen, eine Zentralmoschee, eine jüdische Synagogengemeinde plus so viele Vereine und Gemeinden, die sich für Religionen einsetzen. Spannend fand ich, dass es hier zum Beispiel auch die eritreisch-orthodoxe Kirche Tewahdo und die Bosnian Islamic Cultural Community Džemat gibt.

Sicher hängt es damit zusammen, dass 37% der Menschen im Stadtteil einen Migrationshintergrund haben, und da sind die Menschen, die in zweiter und dritter Generation hier leben, gar nicht mehr mitgezählt!

Wir haben super viel entdeckt und uns Input von außen geholt, zum Beispiel von drei Referentinnen der Melanchthon-Akademie. Ganz wichtig war auch die Recherche der Ehrenamtlichen. Der nächste Schritt ist, zu den Orten zu gehen und zu entscheiden, welche Geschichten wir bei den Veedels- führungen über diese Orte erzählen wollen und welche persönlichen Geschichten wir noch mit einbeziehen.

Was ist denn Deine persönliche Geschichte?

Glaube oder Religion ist für mich nicht so wichtig wie Religionsfreiheit. Das als Wert, die Freiheit zu haben, meine Religion zu bestimmen oder welchen Glauben ich habe. Ich bin nicht in einer säkularen Community aufgewachsen und das war sehr bedrückend, weil es nur Schwarz oder Weiß gab. In Jordanien ist das Gesetz nicht entkoppelt von religiösen Schriften. Ich erlebe es hier so, dass auch der Wähler, die Wählerin, sowie das Gemeinwohl und die Entscheidungen von Bürgern und Bürgerinnen sehr wichtig sind. Es wird pluralistischer – alle Religionen versuchen, interreligiös zu arbeiten, ebenso mit Toleranz und Akzeptanz, damit mehrere Religionen nebeneinander praktiziert werden können.

Wie erlebst Du das im Projekt: Da kommen wahrscheinlich viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Prägungen zusammen?

Es gibt Menschen, für die ist der Glaube ganz wichtig, es ist ein richtiger Ankerpunkt, ein Fundament. Für andere gibt es ein Fragezeichen, vieles ergibt für sie keinen Sinn. Wiederum andere wissen, dass Religion nichts für sie ist, aber sie möchten sich sozial engagieren, sehen ihre Berufung in der Arbeit für das Gemeinwohl.

Im Projekt sind Menschen aus sehr unterschiedlichen Religionen, die zusammenkommen, um zu forschen und Ehrenfeld neu zu entdecken. Es sind Leute, die bereit sind, Reflexion zuzulassen. Menschen aus Irak, Kurdistan, Palästina, Syrien, Marokko, Jordanien und aus Deutschland. Es ist also eine ganz bunte Mischung von Menschen, die einen unterschiedlichen Hintergrund haben und verschieden sozialisiert sind, und trotzdem sitzen wir alle am gleichen Tisch und besprechen, was wir in der Kindheit gelernt haben und welche Fragen wir heute an die Religion haben.

Das, was ich gelernt habe, ist nicht in Stein gemeißelt, es ist eine Interpretation.

Wie wird die Auseinandersetzung mit diesen Fragen angeregt?

Hier holen wir uns Expertinnen und Experten dazu, die auch unsere Werte vertreten: Religionsfreiheit, Frauenrechte oder die LGBTQ-Community [Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer – Anm. der Redaktion] anzuerkennen.

Unsere Auswahl an ungewöhnlichen Referentinnen, wie zum Beispiel eine Imamin, hat ein bisschen für Aufregung gesorgt. Eine Frau in der Rolle des Imam ist in manchen Ländern ein Tabu. Es war spannend zu beobachten, wie eine Imamin, die sich richtig gut auskennt im Koran, und wirklich alle Fragen beantworten kann, bei manchen Teilnehmenden Verwirrung ausgelöst hat. Dass etwas, das man gelernt hat und durch Schule und Eltern eingeprägt wurde, nicht die ganze Wahrheit sein muss.

Diese Individualisierung einer Religion, eines Glaubens ist super wichtig und zeigt, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Das ist auch für mich ein Lernprozess. Das, was ich gelernt habe, ist nicht in Stein gemeißelt, das ist eine Interpretation von unterschiedlichen Schriften. Daher muss man sich auf diese Suche begeben und wirklich entscheiden, wie es individuell für mich passt und wie ich es mit mir vereinbaren kann.

Gab es eine Institution, die Dich oder die Gruppe besonders bewegt hat, oder die eine spezielle Rolle bei den Veedelsführungen einnimmt?

Ich finde die Umwandlung der Nutzung von Kirchen spannend. Zum Beispiel die Grabeskirche St. Bartholomäus. Die Architektur ist der Wahnsinn, sowohl von innen als auch von außen, diese Backsteine! Uns interessieren auch geschichtliche Zusammenhänge: Die Kirche wurde in den 50ern gebaut, zu der Zeit hatte man nur Backsteine. Es gibt immer weniger Leute in Deutschland, die in die Kirche gehen, und so müssen die Kirchen sich jetzt überlegen, was sie mit den Räumen machen. Ganz viele verwandeln sich zu Kulturräumen und Museen. Das hat eine schöne Aura – es ist so sakral, so heilig, fantastisch, großartig, aber gleichzeitig ist es für alle Nutzer und Nutzerinnen da, also für alle Menschen, nicht nur für die, die daran glauben. Das finde ich super interessant.

Auch die Architektur der DITIP Moschee ist beeindruckend. Hier haben wir uns außerdem, mitunter auch kritisch, damit beschäftigt, welche politische Rolle Religionen spielen können, und uns zum Beispiel den Film „Allah in Ehrenfeld“ über den Bau der Moschee angeschaut.

Ganz praktisch: wer sich für die Ausbildung zum Veedelsguide interessiert oder eine Tour miterleben möchte– wo sind aktuell und in Zukunft Informationen zum Projekt zu finden?

Sofern es die coronabedingten Einschränkungen dann zulassen, wollen wir im Februar die nächsten Führungen anbieten. Termine werden natürlich auf unserer Homepage veröffentlicht oder auf Facebook. Wir freuen uns sehr über alle, die mitmachen möchten, und man kann auch jederzeit eine Mail an d.khamis@bueze.de senden!

Vielen Dank für Dein Engagement und das nette Gespräch, Dana!

  • Text: Franziska Nagel