Gestaltung der offenen Gesellschaft
Das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen feiert 25-jähriges Jubiläum
Die Fassade in der Liebigstraße 120 lässt auf den ersten Blick nicht vermuten, welch quirliger Kosmos sich hinter den schlichten Mauern verbirgt. Im Inneren überall freundliche Gesichter, die einen willkommen heißen. Auf den Fluren und in den Räumen begegnen einem Lehrerinnen, Arbeitsvermittlerinnen, Rechtsberaterinnen, Integrationsbeauftragte oder IT-Spezialistinnen, die sich tagtäglich für das Gemeinwohl einsetzen.

Das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen – kurz BFmF – ist ein Zusammenschluss qualifizierter Frauen aus verschiedenen Herkunftsländern, die anderen Frauen dabei behilflich sind, ihren Platz in der deutschen Gesellschaft zu finden und ihr Leben selbstbestimmt in Deutschland zu gestalten. Hierfür benötigen sie kompetente Beratung, empathische Begegnungen, professionell vermittelte Bildungsangebote und oftmals eine Kinderbetreuung, damit die Mütter unter ihnen den Kopf frei haben, um sich weiterbilden zu können.
Initiiert hat das BFmF vor 25 Jahren Dr. Erika Theißen, und sie erklärt, dass es leider nicht selten vorkomme, dass einer muslimischen Organisation zuerst mit Vorbehalten begegnet werde und Fragen aufgeworfen würden, ob diese ebenso kompetent und professionell sei wie deutsche beziehungsweise christliche Institutionen der Wohlfahrtspflege. Steigt man tiefer ein in den Kosmos dieses landes- und bundesweit anerkannten Vorzeigemodells wird jedoch sofort klar, wie vielfältig die Angebote sind und wie klar das Ziel verfolgt wird, als muslimischer Akteur seinen wertvollen Teil zur Wohlfahrtspflege in Deutschland zu leisten. Der gemeinnützige Verein BFmF ist Träger dreier Bildungswerke, verschiedener Beratungsinstitutionen, und er beschäftigt über hundert Arbeitnehmer*innen. Trotz der durch die Covid-19-Pandemie verursachten Einschränkungen ist überall auf den Fluren spürbar, welch essenzielle Unterstützung das Zentrum leistet und wie engagiert die überwiegend weiblichen Mitarbeiterinnen vorgehen, die Hilfen an die Frau, aber inzwischen auch an den Mann oder Familien zu vermitteln. Ihre Angebote werden unter normalen Umständen täglich von über 800 Menschen in Anspruch genommen.
Das Beste aus allen Kulturen für unsere Gesellschaft.
Neben Erika Theißen besteht die Geschäftsführung aus Hanim Ezder und Nilgün Filiz; auch der ehrenamtliche Vorstand des gemeinnützigen Vereins besteht ausnahmslos aus Frauen. Für viele von ihnen ist es selbstverständlich, ein Kopftuch zu tragen, und man versteht sofort, dass dies ein Zeichen der Selbstbestimmung ist. Gedanken an Erzählungen, die das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung der Frau im Islam benennen, werden hier klar konfrontiert mit selbstbewussten Frauen, die es als Zeichen ihrer Religion tragen. Viel entscheidender sind die Talente und Ideen, die in den kreativen Köpfen stecken und der Mut und auch die Beharrlichkeit, mit der die vielfältigen Ideen in die Tat umgesetzt werden. Ihr großes Engagement paart sich mit den interkulturellen und interdisziplinären Kompetenzen und bildet einen großen Pool an sehr gut ausgebildeten Fachkräften.

Womöglich spaziert jemand aus der sogenannten „deutschen Mehrheitsgesellschaft“ nicht ohne weiteres im Alltag in diesen Kosmos. Umso inspirierender ist die Begegnung mit diesem Ort gelebten interkulturellen Alltags in Deutschland, der sich Tag für Tag im BFmF abspielt. Denn wir leben in einer sich pluralisierenden Gesellschaft, und Zuwanderung bietet für Deutschland große Schätze, die noch nicht alle gehoben wurden. Für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist es von enormer Bedeutung, die Potenziale aller hier lebenden Mitmenschen zu nutzen. Entscheidende Voraussetzung dafür sind Anerkennung, Teilhabe und Bildung. Für die Leiterinnen des BFmF ist es daher selbstverständlich, sich für ein Miteinander der verschiedenen Völker und Religionen einzusetzen. Für sie ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau essenziell, und sie machen sich stark für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Durch Projekte wie den BFmF wächst die Zuversicht, das Beste aus allen Kulturen für unsere Gesellschaft nutzen zu können und Mitmenschlichkeit in den Vordergrund zu stellen, bei der das Wir größer geschrieben wird als das Ich.
Zuwanderung bietet für Deutschland große Schätze.
