Die Dorfschule in der Großstadt
Anne Lena Ritter im Interview
Nachhaltige Lebensweise, Inklusion, Kinder mit Fluchterfahrung, Lernen oder Selbstbestimmung – viele gewichtige Aufgaben. Wie lässt sich das gleichzeitig stemmen und wer fügt all das zu einem Gesamtkonzept?

Die Antwort ist nicht selbstverständlich, aber in unserem Veedel zu finden: Die Powerfrau und Schulleiterin der Michael-Ende-Grundschule verleiht all diesen Begriffen Leben. Mit ihrem nachhaltigen Schulkonzept erreicht Anne Lena Ritter so viele Eltern, dass die Plätze schon lange nicht mehr reichen.
Nachhaltigkeit wird immer wichtiger. In welchen Bereichen konnten Sie da als Schule etwas tun?
Vor einem guten Jahr haben wir es zum Beispiel geschafft, zusätzliche Fahrradparkplätze direkt vor der Schule schaffen zu lassen. Wir haben gemerkt, dass die Kinder gerne mit dem Fahrrad kommen und wir unterstützen möchten, dass sie in Ehrenfeld das Fahrrad nutzen. Es wurden bewusst sogar kleine Fahrradnadeln geschaffen, in der Hoffnung, dass die Erwachsenen im Veedel diese nicht nutzen.
Gibt es im Schulalltag Projekte zum Thema Ressourcenverwertung, bei denen auch die Kinder involviert sind? Gerade die Papiernutzung ist sicher ein Thema?
Ja! Wir versuchen immer mehr darauf zu achten, recyceltes Papier zu benutzen. Das nutzen wir für alle Angelegenheiten und die Kinder verzichten bei der Schülerzeitung bewusst gerne auf buntes Papier. Sie sagen: „Ach, das wirkt doch so am ehesten wie eine richtige Zeitung“.
Frühstückspause ohne Müll
Papiervermeidung heißt ja gleichzeitig auch Müllvermeidung. Wie gehen Sie damit um?
Die Stadt Köln hat ein Projekt zur Mülltrennung, an dem wir als Schule teilnehmen. Das heißt, es gibt in jeder Klasse einen Mülldienst, der für den Papiermüll zuständig ist. Einmal in der Woche bringen sie selbstständig den Papiermüll in die Container. Ansonsten kümmert sich unsere Reinigungskraft um Plastik- und Restmüll. Wenn wir das gut gemacht haben, bekommen wir als Schule jedes Jahr eine kleine Mülltrennungsprämie. Damit können wir etwas Gutes finanzieren.
Wie wird ein solches Thema dann in den Klassen untergebracht?
Hin und wieder gibt es Müllvermeidungsaktionen. Die werden zum Beispiel im Klassenthema „Gesundes Frühstück“ integriert. Die Kollegen überlegen mit der Klasse, wie man eine Frühstückspause ohne Müll machen kann, oder wie man gleich etwas kaufen kann, das wenig verpackt ist. Am besten entsteht in der Pause gar kein Müll, indem man Frühstücksdosen, Trinkflaschen oder ähnliches mitbringt. Als gutes Beispiel könnte man auch den Supermarkt in der Südstadt besuchen. Die Kinder waren jedenfalls ganz interessiert, als sie hörten, dass dort nichts verpackt ist.

Super Sache! Und wie steht es um die Verträglichkeit des Wassers in den alten Gemäuern?
Wir haben eine Trinkwasserüberprüfung in der ganzen Schule durchgeführt. Wenn wir feststellen, dass das Trinken von Leitungswasser bei uns in der Schule möglich ist, dann würden wir den Kindern gerne Wasser in Karaffen anbieten und so eine ganze Ecke an Plastikmüll sparen und der Gesundheit auch noch Gutes tun.
Wie gehen Sie mit dem Thema Licht um?
Hier in der Schule haben wir nur dort Licht an, wo Kinder in den Räumen sind. Ich erlebe es hier oft eher dunkel und mache irgendwo das Licht an. Manche Kinder müssen sich auch orientieren oder manche haben vielleicht auch Wahrnehmungsschwierigkeiten, so dass es im Dunkeln dann schwieriger ist. Ich erlebe es hier oft andersherum, dass ich ab und zu mal das Licht anmache (lacht).
Wir bieten den Kindern ein familiäres & stabiles Umfeld
Wäre es nicht denkbar, das Gebäude oder zumindest den Strombedarf für die Beleuchtung über Erneuerbare Energien zu erzeugen?
Es gab sogar mal eine Anfrage von einer Firma für Solarenergie. Die überlegten, ob sie das Schulgebäude nutzen könnten, um Solarenergie zu gewinnen. Leider haben sie das Schulgebäude für nicht geeignet empfunden – schade.
Erzählen Sie uns von der Grünfläche!
Die grüne Insel Lummerland! Es war uns wichtig, eine grüne Fläche für die Kinder zu schaffen, die Naturerfahrung und Rückzugsmöglichkeit für die Kinder bietet. Damit sie mitten in Ehrenfeld auch ein Stückchen Grün erleben, das sie selber mitgestalten können. Es soll auch ein Hügel entstehen und Lehmtipis. Die Kinder hatten noch die Idee, um einen Baum eine Steinspirale zu gestalten. Und sie träumen davon, einen Ausguck zu haben.
Und, gehen die Kinderwünsche in Erfüllung?
Ja! Die Kinder sind ganz viel involviert, haben am Malwettbewerb teilgenommen, um diesen Hügel zu gestalten. Haben Ideen gesammelt in der Kinderkonferenz. Wir haben eine Art Kinderparlament in der Kinderkonferenz, wo die Kinder gemeinsam Ideen sammeln: Was wollen wir alles haben? Was wünschen wir uns?

Mit so einem Konzept nehmen Sie Ihre Aufgabe als Schulleitung äußerst verantwortungsvoll wahr. Das ist sicherlich nicht selbstverständlich.
Wir sehen uns ein bisschen als Dorfschule in der Großstadt. Weil wir in diesem großstädtischen Gefüge in Ehrenfeld den Kindern ein stabiles, sehr familiäres Umfeld bieten können. Indem sich alle kennen, die Mitarbeiter sehr eng zusammenarbeiten und die Kinder sich aufgrund des Gebäudes, aber auch der klaren Strukturen in der Schule ganz schnell zurechtfinden.
Wie erleben Sie „Ihre Kinder“ hier an der Schule? Sie erwähnen häufig eine Kinderkonferenz.
Die sind unglaublich verantwortungsbewusst, wenn es um Veränderungen geht. Es ist so, dass man auch bei den Kindern, wenn es um nachhaltige Entwicklung geht, immer auf offene Ohren trifft. Gerade wenn es ein Klassenthema ist oder in der Kinderkonferenz besprochen wird. Die Kinderkonferenz ist übrigens ein Gremium, wo sich die Klassensprecher der Klassen zusammensetzen. Dort sind sie interessiert und denken mit, fühlen sich verantwortlich, nehmen die Sache ernst und sammeln ernsthaft Ideen und überlegen, wie sie Dinge verändern können. Wir schreiben danach ein Protokoll, dann geht das in den Klassenrat der jeweiligen Klassen, um es dort noch einmal zu besprechen.
Denken Sie, dass die Kinder das Thema Nachhaltigkeit auch mit nach Hause tragen?
Ich habe das Gefühl, dass sie alles ganz stark nach Hause mitnehmen und die Eltern deswegen sehr gut informiert sind. Zum Beispiel hatte ich das Thema „Das gesunde Frühstück“ selbst in der Klasse und weiß, dass dieses Thema natürlich direkt mit nach Hause geht: Was gehört zum gesunden Frühstück dazu, was möchte ich noch mitnehmen können in die Schule? Und was kann ich vielleicht Mama und Papa für Ideen geben, wie sie Müll vermeiden.
Was kann ich Mama und Papa für Ideen geben?
Auch soziales Miteinander ist ein wichtiges Thema für Sie...
Ja... Dinge zu teilen, das „Sharing“ von Klamotten zum Beispiel. Wir haben gerade in kürzester Zeit viele Familien mit Fluchterfahrung bei uns in die Schule aufgenommen. Daraufhin haben die Kinder und Eltern viele Klamotten gespendet, die wir in einem extra Raum unten aufbewahren. Wir würden gerne auch einen Bücherschrank auf dem Schulhof einrichten.
Sie erwähnen Familien und Kinder mit Fluchterfahrung. Wie gehen die Schülerschaft und die Eltern mit den neuen Familien um?
Als die Eltern hier mit den Aktionen gestartet haben, wurde immer mehr eine Willkommenskultur der Schule deutlich, und unsere Schule hat dann auch bald eine so genannte „Vorbereitungsklasse“ bekommen. Die Eltern und Kinder haben sich unheimlich gefreut auf die „Neuen“. Das war total schön. Als die Kinder dann kamen, ging es sofort los, dass die Eltern Patenschaften übernommen haben. Das heißt jedes Kind, das mit Fluchterfahrung bei uns in der Schule geschult wird, eine Patenfamilie hat. Die gucken, je nach Möglichkeit der Verständigung, wo man sich trifft und dass man gemeinsam etwas unternimmt.

Das heißt, Sie haben es in kürzester Zeit geschafft, die neuen Kinder und Familien erfolgreich zu integrieren.
Ja, weil sich alle schon gefreut haben, dass die Kinder dazukommen und bereit waren zu unterstützen, um ihnen hier einen schönen Lebens- und Lernraum zu bieten. Bei uns werden die Kinder übrigens direkt in die Regelklassen integriert. Das heißt zwischendurch geht’s zum Mittagessen, aber die Kinder haben die gleichen Strukturen über den ganzen Tag hinweg. Darüber hinaus gibt es dann noch den Sprachförderunterricht.
Haben die Kinder mit Fluchterfahrung denn die Möglichkeit, langfristig an Ihrer Schule zu bleiben?
Ich hoffe, ja. Denn das Schöne ist, dass alle 15 Kinder mit ihrer Familie gerne bleiben würden. Allerdings hängt es davon ab, ob eine dauerhafte Wohnung in zumutbarer Nähe zur Schule gefunden werden kann. Ich finde toll, dass an unserer Schule, neben dem Bildungs- und Erziehungsort für die Kinder, auch ein Lebensraum für all die unterschiedlichen Familien entstanden ist.
Wir bedanken uns für dieses Interview bei Frau Ritter und freuen uns sehr, dass wir im Veedel so eine engagierte Powerfrau als Schuldirektorin haben, der die kleinen Menschen so wie die Umwelt gleichermaßen am Herzen liegen.